Update 20.10.2020 Die Stadtgalerie Velbert meldet Insolvenz an – der Betrieb läuft weiter. Nachdem im Februar schon einer der Ankermieter aus der Textilbranche die Flügel strecken musste, ist nun auch dem Betreiber die Luft ausgegangen. Für die Velberter Innenstadt ist das kein gutes Signal. Wer in den letzten Monaten die Vermietungssituation im Center beobachtet hat, konnte das aber kommen sehen. Erste Erklärungsversuche sind ähnlich hilflos, wie das bauliche Gesamtkonzept: COVID 19 habe zu schmerzhaften Umsatzverlusten geführt. Die Insolvenz eines Ankermieters Mensing im Februar war angeblich der erste Sargnagel. Ich erwarte weitere schräge Erklärungsversuche in den nächsten Tagen. Jeder soll sich sein eigenes Bild machen. Meine Version sieht so aus: der Investor hat sich verschätzt. Im Februar gab es noch keine Coronakrise. Nach Angaben des Unternehmens ist allein der Standort in Velbert für die Insolvenz des Unternehmens verantwortlich. Das Unternehmen betreibt mit über 350 Mitarbeitern neben dem Stammhaus in Bottrop weitere Filialen in Dorsten, Kleve, Wesel, Lingen, und Rheine. Obwohl es sich bei Mensing um einen erfahrenen Einzelhändler handelt, hat dieser sich vermutlich bei den Umsatzerwartungen am Standort in Velbert verschätzt. Schon im letzten Jahr konnte man am Zustand des Gebäudes erkennen, dass man sich auch bezüglich der Projektkosten verschätzt hat. Anders lässt sich der unfertige Zustand der Immobilie und des Umfelds nicht erklären. Auch der Investor hat sich hier offenbar verschätzt. Wie kann sich ein erfahrener Investor verschätzen?
Bei der Projektentwicklung verschätzt?
Basis jeder Projektentwicklung von Immobilien sind die Gestehungskosten – das sind überwiegend die Baukosten. Zusammen mit dem Entwurf werden schon zu Beginn die Baukosten von Architekten und Ingenieuren ermittelt. Wenn es bei diesen Berechnungen zu Fehlern kommt, hat das sehr unangenehme Folgen. Je später man diese Fehler bemerkt, desto schlimmer! Dies sind mögliche Folgen falscher Kosteneinschätzungen:
- Der Bau wird teurer und daher reicht der Kreditrahmen zur Finanzierung der Immobilie evtl. nicht aus
- Bauunternehmer können evtl. nicht weiter bezahlt werden und stellen ihre Arbeiten ein
- Dadurch können sich die Baumaßnahmen verzögern
- Dadurch verzögert sich eventuell auch die die Fertigstellung, was natürlich potentielle Kunden verunsichert
- durch eine spätere Inbetriebnahme sinkt die Rendite der Projektentwicklung
- Möglicherweise wird eine teure Nachfinanzierung erforderlich
- Engagierte Investoren können dadruch ihr Vertrauen verlieren und weiteres Engagement zur notwenigen Aufstockung verweigern
- Der gute Ruf der Investoren und der Projektentwickler leidet – man kennt sich im Markt
- Wegen nicht fertiggestellter Bauarbeiten wird evtl. auch das Umfeld der Immobilie in Mitleidenschaft gezogen
- Dadurch können auch die Marktwerte von Nachbarimmobilien leiden
- Der unfertige Eindruck einer Immobilie – auch Bauruine genannt – vergrault potentielle Kunden
- Darunter leidet der Umsatz der engagierten Mieter und Nutzer
- Das ist der Grund, warum evtl. vereinbarte Umsatzmieten weiterer Mieter hinter den Erwartungen zurück bleiben
- Das kann dazu führen, dass Mietverträge nicht verlängert werden usw.
- Die Gesamtsituation kann dem Ruf einer Stadt schaden
Schlechte Planung und falsche Kostenberechnungen treten oft als Paar auf. Verantwortlich für Planung und Kostenberechnung sind Architekten….
Rückblick September 2019|Ursprünglicher Artikel über die Stadtgalerie Velbert Wenn in der eigenen Stadt gebaut wird, ist man als Baufachmann neugierig. Heute hatte ich endlich Gelegenheit, mir das neue Einkaufszentrum in Velbert anzusehen. Die Stadtgalerie Velbert ist ein innerstädtisches Shopping-Center. Fertigstellung und Inbetriebnahme war im Mai 2019. Nach Jahren der Projektentwicklung einigten sich einst Investoren und Politik auf eine gemeinsame Linie. Mit Vorfreude fieberten die Velberter dann der Eröffnung entgegen, denn das Angebot war in der bisherigen Fußgängerzone begrenzt. Sogar ein Lebensmittelmarkt wurde angesiedelt. Die Presse lobt den Impuls für den Einzelhandel: Die Stadtgalerie lockt zum Shoppen in Velbert.
Keine Kritik an der Planung und Bauausführung in Velbert
Leider ist der Blick durch die Brille eines Bauexperten nicht so erfreulich: Was im Herzen Velberts entstanden ist, lässt an vielen Stellen zu Wünschen übrig. Als gelernter Architekt ist es mir unerklärlich, wie so viele offensichtlichen Fehler entstehen konnten. Zum Beispiel wurde jahrelang – im Zusammenhang mit dem Neubau des Einkaufszentrums – um den Erhalt der Villa Herminghaus gerungen. Nach vollmundigen Ankündigungen findet man dort heute eine städtebauliche Grausamkeit erster Güte: Direkt am historischen Eingang der Villa liegt die Parkplatzzufahrt des Lebensmitteldiscounters (s.h. Bild oben). Bleibt abzuwarten, wie der “repräsentative Eingang” des geplanten Anbaus das korrigieren wird. Mit keiner Silbe geht die lokale Presse darauf ein. Dass die Ausführungsqualität augenscheinlich unterdurchschnittlich ist und das Gebäude weder fertiggestellt, noch baurechtlich abgenommen (09.2019) wird dabei fast zur Nebensache. Natürlich haben Velberter Kunden nicht das “Auge” für spezielle Bauthemen. Wo aber sind die Stimmen der örtlichen Baufachleute? Und was sagt das Baudezernat dazu? Lässt man sich vor den medialen Karren des Projektentwicklers spannen oder duckt sich die Politik hier weg? Klar, es ist nicht gut, wenn ein Leuchtturm-Projekt keine Strahlkraft entwickelt, aber schweigen ist nicht richtig. Als Bürger und Baufachkundiger kann ich das jedenfalls nicht und setze mich daher in diesem Beitrag kritisch mit dem Projekt auseinander. Der mäßige Ruf der Bau- und Planungsbranche wird durch die Stadtgalerie in Velbert bestätigt. Was solls. Jammern hilft nicht. Stattdessen sollte nach vorne schauen und wenigstens für die Zukunft daraus lernen.
Unglückliche Kommunikation – Eröffnung wurde mehrfach verschoben
Im Einzelhandel gilt ein ungeschriebenes Gesetz: Neueröffnungen müssen vor dem Oster- bzw. Weihnachtsgeschäft erfolgen, denn das sind im Handel die umsatzstärksten Zeiten. So war das ursprüngliche Ziel die Eröffnung vor dem Ostergeschäft. Dieser Termin konnte nicht gehalten werden. Fachkundige wissen: das ist ein echtes Problem! Einzelhändler, die einen neuen Standort beziehen, schultern erhebliche finanzielle Risiken: Werden die neuen Flächen angenommen? Kommen genug Kunden ins Center? Ziehen die benachbarten Einzelhändler ebenfalls Kunden an? Die sogenannte Kundenfrequenz ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Jeder Einzelhändler muss seine alte Mietfläche kündigen und den Umzug organisieren. Die Verschiebung einer Neueröffnung kann teuer werden… Nun musste das Problem kommuniziert werden, denn schließlich wartet eine ganze Stadt nach jahrelangen Bauarbeiten auf den Startschuss. Die betreffende Pressemitteilung ist in meinen Augen eine Unverschämtheit und ein gutes Beispiel für misslungene Kommunikation. O-Ton des Projektentwicklers (!): “Mit der Eröffnung der Stadtgalerie ist es wie mit dem Brexit. Sie wird öfter mal verschoben. Der Unterschied ist, bei der Stadtgalerie kommt am Ende was Tolles raus. Das dies beim Brexit so ist, glaubt nur Boris Johnson…”
Wie bitte? Was hat die mehrfach verschobene Eröffnung mit der Meinung von Boris Johnson (und der Mehrheit der britischen Wähler) zu tun? Für echte Profis ist jeder Bauverzug schlichtweg peinlich! Leider ist das Ergebnis alles andere als “toll”. Die Pressemitteilung beleidigt jeden halbwegs-informierten Leser. War das Satire? Gute Kommunikation geht jedenfalls anders.
Städtebaulich problematisch und fehlender Bezug zur Umgebungsbebauung
Städtebau-Fehler an der Kolpingstrasse: Es ist keine Geschmacksfrage, die monströse Zentraltechnik thront bedrohlich auf dem Dach der Anlieferung. Ist das “toll”? Gab es keine bessere bauliche Lösung? Ist die Silhouette der Gebäude an der Kolpingstrasse dem Ort angemessen? Nein. Die Nachbargebäude und die Kirche direkt gegenüber werden durch das neue Ensemble entwürdigt. Die Fassadengestaltung lässt kein Konzept erkennen. Scheinbar willkürlich und ohne Rücksicht auf Proportionen sind hier Außenwände mit klobigen Material-Applikationen getarnt. Leider ist es weder dort, noch an der Corbygasse gelungen, die alte Situation zu verbessern. Von “toller” architektonischer Gestaltung ist nichts zu sehen – stattdessen pure Tristesse. Ein Gestaltungsbeirat, so wie es ihn in vielen Städten inzwischen gibt, hätte vielleicht das Schlimmste verhindert. Velberter Architekten plädierten übrigens schon vor 10 Jahren für die Installation dieses Gremiums…
Fassade an der Corbygasse am 26.7.2019: Ist die Stadtplanung mit dem Ergebnis zufrieden? Hat die Genehmigungsbehörde und die Politik das so gewollt? Wenn schon “nur” Scheinverkleidungen angebracht werden, warum werden diese nicht wenigstens um Gebäudeecken herumgezogen, damit sie nicht “aufgeklebt wirken? Warum wurde die Fassade nicht zur Corbygasse hin geöffnet, um Außenbezüge herzustellen? Das hätte diese wichtige innerstädtische Wegeverbindung aufgewertet. Warum werden haustechnische Anlagen auf dem Dach nicht verkleidet oder so platziert, dass sie für Passanten unsichtbar bleiben? Die Corbygasse hat schon unter der alten baulichen Situation gelitten. Die Dienstleistungs- und Handelsflächen im EG der bestehenden Gebäude sind nie richtig aus den Puschen gekommen, weil auf der gegenüberliegenden Seite nur “Rückseite” war. Dieser Fehler wurde durch den “tollen” Neubau nun wiederholt – schade. Offenbar gab es weder Interesse an Synergien, noch an städtebaulichen Belangen. Somit ist auch in Velbert das Center ein städtischer Autist. Bleibt die Hoffnung, dass die fehlenden Außenanlagen in der Corbygasse (Pflaster, Aussenmöbel und Bäume) die “Betonwüste” baldmöglichst ersetzen, um den Außenraum adäquat herzurichten. So kann es jedenfalls nicht bleiben.
Der Eingang zum Center an der Kolpingstrasse: Ist das barrierefrei? Wo können hier betagte Kunden oder Eltern mit Kinderwagen ins Gebäude kommen? Ist das “toll”? Wer die Außentreppe erklommen hat, wundert sich zu Recht. Diese Treppe ist viel zu steil! Wurden hier die anerkannten Regeln der Technik beachtet? Für Treppen im Außenbereich gibt es Empfehlungen, damit diese sicher und bequem begangen werden können.
Das Foto zeigt: auch aus dieser Perspektive springt die Haustechnikzentrale auf dem Dach ins Auge und das verzinkte Schiebetor zur Anlieferung macht kein gutes Bild. Da helfen auch nicht die aufgeklebt wirkenden “Applikationen” auf den Außenwänden. Vermutlich sollten diese optisch gliedernd wirken und den “Mauer-Effekt” abmildern. Ein gestalterischer Kniff, der hier eher beliebig wirkt.
Ideen für Fuckup Stories – in Zukunft Fehler vermeiden
Fehler … shit happens. Hoffentlich funktioniert die Drainage an der Notausgangstüre zur Kolpingstrasse. Hier liegt das Niveau OKFF (Oberkante Fertigfußboden) im Treppenhaus etwa 15 cm unter dem außenliegenden Gehweg. Es wäre interessant zu erfahren, wie dieser Fehler passieren konnte. Lag es an der Einmessung der Geländehöhen oder wurden OKRB (Oberkante Rohboden) und OKFF (Oberkante Fertigfußboden) verwechselt? Wie auch immer. Nur durch eine Absenkung des Gehweges konnte die Funktionsfähigkeit des Ausgangs gesichert werden. Dies führt zur Ausbildung einer Mulde / Vertiefung vor der Außentür, in der sich nun Regenwasser sammeln kann, dass vom Gehweg und der Fassade zuläuft. Wenn die Rinne verstopft, besteht die Gefahr, dass Wasser ins Gebäude eindringen kann.
An dieser Stelle, einer Gebäudeecke auf dem Forumsplatz, liegt der Boden und die Hauptfassade unter dem Höhenniveau des Forumsplatzes. Möglich, dass sich wegen des Provisoriums die endgültige Situation noch nicht ablesen lässt. Es könnte sich allerdings auch um einen Fehler handeln, der in der Planung entstanden ist. Normalerweise lassen sich Unterschiede von Innen- und Außenhöhen schon in der BIM-Planung sehr genau erkennen.
Liebe Architekten und liebe Projektentwickler, macht endlich fertig!
Wir werden sehen, was am baulichen Ergebnis noch optimiert wird und wie das gesamte Projekt nach der echten Fertigstellung ausschaut. Wir werden sehen, ob die gesamte Infrastruktur und die Erschließung reibungslos funktioniert. Aber irgendwie geht es mit der Baustelle nicht weiter. Warum ist das so? Es gibt zu viele optische und faktische Barrieren, die auf Kunden abschreckend wirken und damit umsatzschädlich sind. Das Parkhaus, die Zugänge und das gesamte äußere Erscheinungsbild wirkt nicht einladend. Hält dieser bauliche Zustand noch längere Zeit an, dann wird das Image leiden. Das wäre auch nicht gut für Velbert. Bleibt zu hoffen, dass die engagierten Einzelhändler – einige sind ja aus der Fußgängerzone ins Center gezogen – nicht unter den Schwächen leiden.