Lean Construction | Grundlagen Teil 3 IPD

Für Großprojekte schließen Bauherren in der Regel einen Vertrag mit einem Generalunternehmer. Der GU gibt üblicherweise große Teile seines Auftrags an andere Firmen weiter, die wiederum weitere Subunternehmer unter Vertrag nehmen können usw. Der “letzte” Bauunternehmer in dieser Kette hat schließlich Verträge mit Lieferanten von Baumaterial und Bauteilen. In dieser Kette sind alle über sogenannten Zwei-Parteien-Verträge gebunden. Unternehmen, die in dieser oder ähnlichen Vertragskonstellation zusammenarbeiten, verfolgen natürlich zunächst die eigenen Ziele und Interessen – man ist sich selbst am nächsten. Die Beteiligten kennen die Vertragsverhältnisse der “anderen” meistens nicht. Im Bauverlauf führt diese Unklarheit zu Komplikationen, weil Verantwortlichkeiten unklar bleiben und so das Risikomanagement erschwert wird. Unsere traditionelle Trennung der Planungsphase von der Bauphase schafft weitere Intransparenz. Die Nachteile sind in der Baubranche längst bekannt – geändert hat sich in den letzten Jahrzehnten aber wenig. Mit alternativen Vertragsformen aus dem Lean Management und der Integrierten Projektabwicklung IPD lassen sich Bauprojekte besser und günstiger realisieren.

Eigenschaften der Integrierten Projektabwicklung IPA

Die Integrated Project Delivery “IPD”, zu deutsch „Integrierte Projektabwicklung IPA” hat Besonderheiten, die man in herkömmlichen Bauprojekten nicht findet:

  • Wichtige Beteiligte und Produzenten werden früh eingebunden
  • Bauherren, Planer und Bauunternehmen nutzen Mehrparteienverträge
  • Das gesamte Bauteam teilt Chancen, Risiken, Mehrkosten und Einsparungen
  • Kosten und Vergütung der Vertragspartner sind transparent. Es gilt das Prinzip der offenen Bücher
  • Entscheidungen werden zusammen getroffen und Konflikte gemeinsam gelöst
  • Gegenseitigen Haftungsausschlüsse zwischen den Vertragspartnern werden vereinbart
  • Projektziele werden gemeinsam festgelegt und gemeinsam verfolgt.

Die frühe Einbindung von Fachleuten aus der Baupraxis bereichern den Planungsprozess, z.B. Bauunternehmer in der Planungsphase mi Beratungsleistungen beauftragen. Die Auswahl geeigneter Partner kann über Kompetenzwettbewerbe erfolgen. Gute Erfahrung habe ich gemacht, wenn beim Kompetenzwettbewerb auch Zielpreise abgefragt wurden. Voraussetzung dafür ist eine einfache funktionale Leistungsbeschreibung FLB, in der wesentlichen Kostentreiber schon fixiert sind. Man vereinbart z.B. mit einem GU honorierte Bearbeitungsstufen, die im besten Fall zu einem verbindlichen Angebot führen. Am Ende der werden Zielkosten-Korridore für die nächste Stufe vereinbart. Nach jeder Stufe werden diese Korridore enger.

Bei der Zusammenarbeit vor dem eigentlichen Bauauftrag kann gegenseitiges Vertrauen wachsen, während man sich bei den Planungen gemeinsam voll auf die Projektziele konzentrieren kann. Die gemeinsamen Planungs- und Projektbesprechungen reduzieren schon im Vorfeld Mißverständnisse und daraus resultierende Konflikte. Diese würden sonst erst viel später beim Bauen ans Tageslicht kommen. So wird wertvolle Zeit ins Projekt investiert und nicht auf Nebenkriegsschauplätzen unnötig verbrannt – Stichwort: Claim Management.

Mehrparteienverträge sind in den USA normal

Ein elementarer Beitrag zur Optimierung von Baustellen sind die Mehrparteienverträge. Dabei arbeiten alle Parteien “unter einem Vertrags-Dach”. Der Projekterfolg steht im Vordergrund und jeder Vertragspartner sieht sich als Partner einer Allianz. Im Englischen gibt es daher die Begriffe „Partnering“ und „Project Alliancing“. Anders als man vielleicht denkt, setzen Mehrparteienverträge klare Ziele für die Zusammenarbeit! Verschiedene Institutionen in den USA bieten Vertragsmuster für Mehrparteienverträge. Eine davon ist das American Institute of Architects (AIA). Mit unterschiedlichen Mustern lässt sich der individuellen Grad der Integration von IDP finden.

Eine weitere Institution, deren Vertragsmuster für IPD breite Anwendung findet, ist die Consensus Docs. Verbandsübergreifend verfolgt sie das Ziel der Standardisierung von Vertragsmustern für das amerikanischen Bauwesen.

Auch in anderen Ländern gibt es bereits Muster für kollaborationsorientierte Mehrparteienverträge, so z. B. in Großbritannien das Muster PPC2000. In Australien werden IDP Komponenten mit Project Alliancing umgesetzt. Anders als in Deutschland, verfügen weitere europäische Länder, zum Beispiel Finnland, schon über praktische Erfahrung mit Mehrparteienverträgen. Deutschland steht hier noch am Anfang. Ein guter Anfang wäre gemacht, wenn kollaboratives Verhalten und eine frühe Integration von Projektbeteiligten zur Regel werden würde. Das lässt sich auch ohne den Abschluss von Mehrparteienverträgen realisieren. Ein Lösungsansatz dafür sind Partnering-Modelle.

Die Integrierte Projektabwicklung lässt sich auch in Zweiparteienverträgen umsetzen, z.B. zwischen Bauherr + Generalplaner oder Bauherr + GU. Obwohl diese Form im Vergleich zu anderen über einen geringeren Grad Integration verfügt, bringt auch sie deutliche Verbesserungen für das Projekt.

Den höchsten Gad Integration bietet z.B. das Muster mit dem Namen “AIA C195 –2008” und dient dazu, zwischen Bauherr, Planer und Bauunternehmer und gegebenenfalls weiteren Parteien eine sogenannte Single Purpose Entity (SPE) zu schließen. Diese Konstruktion ist vergleichbar mit der in Deutschland üblichen Arbeitsgemeinschaft (Arge). Die SPE kann als juristische Person eigene Verträge schließen.

IPD kennt keine starre Vertragskonstruktionen

Traditionell erfolgt bei separaten Vertragsbeziehungen die Vergütung eines Bauunternehmers auf Basis einer GMP Guaranteed-Maximum-Price-Regelung. IPD-Modelle haben zwar kein starres/spezifisches Vergütungsmodell, bei Mehrparteienverträgen kommen aber häufig Cost-plus-Fee-Regelungen mit Bonus-Malus-Vereinbarungen zum Einsatz.

Der Teamgeist ist kein Selbstläufer

IPD Modelle brauchen nicht nur geeignete Verträge und gute Werkzeuge, sondern auch ein anderes “Miteinander” im Team. Vertrauensbasiertes Verhalten der Projektbeteiligten ist für die gesamte Abwicklung elementar. Hierzu zählt besonders eine direkte und offene Kommunikation, die sich am besten durch räumliches Zusammensein verwirklichen lässt. Die Einrichtung eines sogenannten Big Rooms für das gesamte Projektteam ist dafür ein probates Mittel. Die Einführung und Beibehaltung der o.g. Verhaltensgrundsätze ist kein Selbstläufer, sondern muss von den Verantwortlichen als eine erfolgskritische Management-Aufgabe verstanden werden, die entsprechender Fokussierung bedarf.

Das Commercial Framework

Die gemeinsame Risikotragung und die Teilhabe an den Chancen finden ihren Ausdruck im sogenannten Commercial Framework, in dem die Vergütung der NOPs (Non-Owner-Participants) definiert wird. Das Standardmodell für die Vergütung besteht hierbei aus den folgenden drei Elementen:

  1. Erstattung aller direkten Kosten (Herstellkosten, inkl. Planungskosten und Baustellengemeinkosten).
  2. Vergütung der vorab festgelegten Fee (Geschäftskosten und Gewinn).
  3. Vorab vereinbarter Mechanismus zum Pain-Gain-Sharing; dieser Mechanismus wird bestimmt durch den Vergleich der tatsächlichen Performance mit den vorab festgelegten Zielen, sowohl hinsichtlich der Kosten als auch hinsichtlich sogenannter Key Result Areas in Bereichen außerhalb der Kosten.

Mehr Information zu diesem Vergütungsmodell, Beispielen und einem Excel-Tool (Download) zur Berechnung findest du hier.

Open Books für Kostentransparenz

Das Open Book-Prinzip besagt, dass der Bauherr und von ihm beauftragte Auditoren Einblick in sämtliche Unterlagen und Prozesse erhalten, die für die Beurteilung der tatsächlich entstandenen Kosten und der Angemessenheit der vereinbarten Vergütung relevant sind. Die Gewährung einer angemessenen Transparenz ist ein entscheidender Faktor für die Vertrauensbildung unter den Projektbeteiligten.

Gemeinsame Organisations- und Managementstruktur bei Projektallianzen

Project Alliancing stellt den höchsten Grad der IPD Integration dar und erfordert die Einrichtung einer angemessenen Organisations- und Managementstruktur (Governance Structure). Die Organisation sorgt für die Einhaltung der Grundprinzipien. Sie besteht in der Regel aus folgenden Gremien:

  • Bauherrenorganisation und NOP-Organisationen
  • Alliance Leadership Team (ALT)
  • Alliance Manager (AM)
  • Alliance Management Team (AMT)
  • Alliance Project Team (APT) bzw. Wider Project Team (WPT)

In den Gremien bzw. Teams finden sich Vertreter aller Projektbeteiligten. Die Struktur der Gremien bildet die gemeinsame Verantwortung zur Erreichung der Projektziele ab und wird von weiteren Maßnahmen flankiert (z.B. gemeinsame Büros, Big Room etc.).

Bild Orga Bestandteile der Organisationsstruktur bei Alliancing

Alles geben für das Projekt

Bei Entscheidungen gilt das Einstimmigkeitsgebot nach dem Prinzip „Best for Project“. Dieses basiert auf dem Grundgedanken, dass die Beteiligten ihr Entscheidungsverhalten auf die Erreichung der gemeinsamen Projektziele ausrichten. Man geht davon aus, dass Entscheidungen auf den Managementebenen am ehesten die Projektziele absichern. Im ALT gilt dazu das Einstimmigkeitsgebot.

Entscheidungen auf den unteren Ebenen sollen im Konsens getroffen werden. Ist das nicht möglich, wird der Sachverhalt an das ALT delegiert. Ein Tool zur Entscheidungsfindung kannst du bei uns erhalten.

excel tool screenshot entscheidung

Zeitgewinn durch Rechtsmittelverzicht

Alliancing Vereinbarungen enthalten einen Rechtsmittelverzicht, um die Beteiligten in die Verantwortung nehmen und Konflikte zeitnah zu lösen. Der beschriebene Eskalationsweg zum ALT gilt auch hier: IPD soll die beste Lösung für das Projekt finden und individuelle Interessen zurückzustellen.

Die Beteiligten wollen weder Schlichter, noch Rechtsanwälte nutzen. Ausnahmen bestehen bei groben Pflichtverletzungen. Diese werden im Vertrag beschrieben.

Die Etablierung einer „No fault –no blame”-Kultur hat das Ziel, bei von Schlechtleistung einzelner den Fokus nicht auf Schuldzuweisungen zu legen. Die gemeinsame Verantwortung aller zur Erreichung der Projektziele ist wichtiger. Statt sich am Fehler aufzureiben soll so schnell wie möglich eine gute Lösung für den weiteren Projektverlauf gefunden werden. Vertraglich wird dies durch den Haftungsausschluss untermauert.

Die Beteiligten verpflichten sich zu einem fairen, kooperativen und ehrlichen Umgang. Diese Verpflichtung steht im Zusammenhang mit allen anderen Modellbestandteilen des Project Alliancing. Die Umsetzung dieser Prinzipien erfordert ein vorbildliches Verhalten der Führungskräfte und wird durch eine Alliancing Charta begleitet.

Die Auswahl des Teams

Wer sich in die Regeln der IPD und des Alliancing hineindenkt, erkennt: das geht nicht mit jedem. Für den Auswahlprozess der Projektpartner aus Sicht des Bauherren zählen folgenden Parameter:

  • Die Auswahl der NOPs erfolgt in zwei Phasen. In der ersten Phase, vor Beginn der Planungsphase, wird ein Kompetenzwettbewerb durchgeführt. Dieser dient der Partnerwahl und Formierung eines Teams. Eine Anleitung, wie ein Kompetenzwettbewerb organisiert wird, findest du hier.
  • Der Kompetenzwettbewerb beinhaltet auch preisliche Bewertungskriterien: Der Zuschlag für Geschäftskosten und den Gewinn sowie die Parameter des Commercial Framework
  • Die erste Phase endet mit einem Vorvertrag, dem Project Alliancing Agreement (PAA), in dem die wesentlichen vertraglichen Regelungen zum Aufbau einer Allianz beschrieben werden. Alternativ kann der Bauherr in der ersten Phase statt eines Teams, die Ausführungs- und die Planungsbeteiligten separat auswählen.
  • In der zweiten Phase erfolgt die eigentliche Projektdefinition. Hier werden die Grundlagen, der Leistungsumfang (Scope of Work = SOW) und die Zielkosten (Target Output Costs = TOC) als Grundlage für die Vergütung entwickelt. Dieser Beitrag stellt Werkzeuge dafür vor.
  • Wenn die ermittelten Zielkosten am Ende dieser Phase die Budgetvorgaben überschreiten, kann der Bauherr die Allianz beenden.

Die zweite Phase ist also eine Arbeitsphase / Planungsphase mit dem potentiellen Bauteam (Single-TOC-Verfahren). Alternativ dazu kann man die zweite Phase auch mit zwei oder mehreren Teams parallel bearbeiten (dual-TOC-Verfahren bzw. Multiple-TOC-Verfahren). Der Bauherr kann sich am Ende dann das Team aussuchen, mit dem er bauen möchte. Bei einem Multi-Verfahren muss er natürlich im Vorfeld mehr Honorar für das Verfahren bereitstellen. In der zweiten Phase können auch Zwischenstopps eingefügt werden, in denen anhand der aktuellen Kostenprogose die Erfolgswahrscheinlichkeit abgeglichen wird. Bei diesen könnte schon vor Abschluss der Phase zwei vom Bauherren die “Notbremse” gezogen werden. Danach folgt in der Phase drei die Ausführungsplanung und Realisierung des Bauvorhabens mit dem ausgewählten Team.

Abkürzungsverzeichnis

AEZ Anteil eingehaltener Zusagen | AIA American Institute of Architects | ALT Alliance Leadership Team | AMT Alliance Management Team | AM Alliance Manager | APA Auftraggeber-Produkt-Anforderungen | AIA Auftraggeber-Informations-Anforderungen | APT Alliance Project Team | BAP BIM-Abwicklungsplan | BIM Building Information Modelling | ECI Early Contractor Involvement | FRS First Run Studies | GLCI German Lean Construction Institute | GPA Gesamtprozessanalyse | IFOA Integrated Form of Agreement | IPD Integrated Project Delivery | IPK In-Prozess Kanban | JiS Just-in-Sequence | JiT Just-in-Time | KPI Key Performance Indicator | KVP Kontinuierliche Verbesserung von Prozessen | LPDS Lean Project Delivery System | LPS Last Planner System | NEC New Engineering Contracts | NOP Non Owner Participants | PAA Project Alliancing Agreement | PBD Point-based Design PDCA Plan Do Check Act | PEA Prozentsatz eingehaltener Aussagen/Aufgaben | PEP Produktionsevaluations- und Planungsbesprechungen | PPC Project Partnering Contract/Percent Plan Completed | PSP Projektstrukturplan | SBD Set-Based Design | SCM Supply Chain Management SOW Scope of Work | SPE Single Purpose Entity | TGA Technische Gebäudeausstattung | TMR Task Made Ready | TOC Target Output Costs | TPTS Taktplanung und Taktsteuerung | TVD Target Value Design | WPT Wider Project Team

Quelle Textauszüge: German Lean Construction Institute – GLCI e. V. c/o KIT Institut für Technologie und Management im Baubetrieb, Prof. Dr. Shervin Haghsheno