Warum Architekten keine Künstler sein dürfen

Manche behaupten, Architektur sei Kunst. Stimmt das? Das griechische Wort Architekton bedeutet übersetzt Baumeister. Dieser Baumeister war noch bis zu Beginn der Renaissance Architekt, Ingenieur und Unternehmer gleichzeitig und somit ein Dirigent in einem vielstimmigen Konzert. Doch besonders im 20. Jahrhundert wurde das Tätigkeitsfeld des Architekten dann auf eine Dimension reduziert. Le Corbusier, ein Begründer der Moderne, schreibt im Jahr 1922, dass die gute Form das Wichtigste ist. In der guten Form würden sich Künstler von einfachen Ingenieuren unterscheiden. Und Bruno Taut setzt 1936 noch einen drauf, als er postliert, dass Architekten sich in erster Linie mit Proportionen zu befassen haben. In Folge dieser Geisteshaltung können inzwischen längst nicht alle Diplom-Ingenieure oder Master of Arts ein brauchbares Gartenhaus bauen, wohl aber ein schönes.

Das letzte Jahrhundert stand im Zeichen der Künstler-Architekten, die stets bemüht waren, sich so technikfrei wie möglich zu präsentieren. Frank Lloyd Wright, zum Beispiel, baute einst ein Privathaus mit einem neuartigen Flachdach. Schon nach wenigen Wochen war dieses undicht. Der Bauherr rief Mr. Wright an und wurde von ihm angeblafft: „Es regnet ins Esszimmer? Dann stehen Sie nicht herum und verrücken Sie den Tisch!”

Gute Architekten vereinigen alle Disziplinen des Bauens in sich. Sie sind ganzheitliche Baumenschen, dem die Form so viel bedeutet, wie der Inhalt.

Die Architektenkammern inszenieren ihre Mitglieder gerne als Baukünstler. Kollegen fühlen sich geschmeichelt, solange sie es sich leisten können. Es ist cool, Teil einer Künstler-Community zu sein. Ich gestehe, dass ich einst auch mal an meine gestalterische Unfehlbarkeit glaubte. Meinungen von Laien interessierten mich nicht. Meine Überheblichkeit wurde von meinen Vorgesetzten sogar unterstützt, denn wir hatten die gleichen Überzeugungen. Erst, als ich selbst Bauherr mit einem kleinen Budget war, gewann ich wichtige Erkenntnisse, denn ich musste mit meinem eigenen Geld haushalten. Die Welt aus der Bauherrensicht sieht oft völlig anders aus. Früher verstand ich nicht, warum Bauherren sich schwer entscheiden konnten und unsicher oder misstrauisch waren. Dafür hatte ich dann mehr Verständnis. Genau in dieser Zeit wechselte ich auch beruflich auf die Bauherrenseite. In meinem neuen Job übernahm ich die Bauherrenrolle. Die Auswahl, die Beauftragung und die Steuerung von Bauplanern waren fortan meine Aufgaben.

Bei der Auswahl von Architekten entdeckte ich schnell immer wieder die gleichen Muster: Geben sich Architekten pragmatisch, dann fehlt ihnen die ästhetische Kompetenz. Kommen sie als Baukünstler daher, dann fehlt die Empathie für Bauherren. Keine der beiden Typen deckt die Anforderungen eines Bauherren vollständig ab. Meine Erkenntnis nach zwanzig Jahren in dieser Rolle: nur sehr wenige Architekten verstehen Bauherren.

Kommunizieren ist gut – missionieren ist schlecht

Wie kann das sein? Diese Prägung erfolgt schon im Studium. Vom ersten Tag an wurden wir Studenten auf eine Art missionarische Rolle vorbereitet. Nur die Meinung von Architekten zählt beim Bauen. Damals verhielten sich viele Kollegen auch genauso. Handwerker und Bauunternehmer kämpften noch um Aufträge und die Architekten saßen beim Bauherren und im Projekt am längeren Hebel – keine gute Basis für Kollaboration auf Augenhöhe.

Das Architekturstudium empfand ich als eine sehr gute Ausbildung. Von der gestalterischen Leere profitiere ich jeden Tag. Es wäre jedoch noch besser gewesen, man hätte auch unsere kommunikativen Fähigkeiten und Empathie geschult. Heute arbeiten viele meiner Kommilitonen in Positionen, in denen sie Haltungen an die nächste Architekten-Generation weitergeben…

Stell dir vor, Du bist Laie und stehst vor der Wahl: Neubau eines individuellen Architektenhauses oder Kauf eines Eigenheimes vom Bauträger. Für ein Architektenhaus musst du zunächst passende Planer finden. Die Wahl ist nicht einfach, denn die einen haben ihren Schwerpunkt im Entwurf und die anderen sind als Dienstleister unterwegs. Der Entwerfer plant den besten Grundriss und das coolste Design und der Dienstleister plant und baut im Grunde das, was Du möchtest. Doch er hat möglicherweise kein Gefühl für Form, Material und Funktion. Vielleicht ist er bautechnisch versiert, aber er baut eben kein schönes Haus. Für welche Gruppe würdest du dich entscheiden?

Achtzig Prozent bauen ohne Architekten

Architekten gelten gemeinhin als kreativ, innovationsfreudig und neugierig. Eigentlich eine gute Basis, um seinen Traum vom individuellen Eigenheim zu verwirklichen. Doch trotz der Sorge, für jeden Sonderwunsch bezahlen zu müssen, entscheiden sich die meisten Bauwilligen gegen den Architekten und für den Bauträger. Offenbar scheint das Bauen mit dem Bauträger berechenbarer zu sein. Bauherren machen sich lieber mit dem “knallharten Unternehmer”, als mit dem “neugierigen Kind” auf die abenteuerliche Reise des Hausbaus. Sie vertrauen nicht dem Künstler. Sie können die Arbeit des Architekten auch nicht einschätzen und möchten sich auch auf keinen Fall missionieren lassen. Ja, sie ahnen auch, dass Künstler anstrengend sein können…

Beim Bauträger hingegen finden Bauherren fertige, etablierte Grundrisse. Es gibt Festpreise und erprobte Systeme. Und wenn man nichts ändert, dann reicht auch garantiert das Geld. Kein Bauherr sucht das finanzielle Abenteuer. Sicherheit und Verlässlichkeit sind wichtiger, als Individualität mit ungewissem Ausgang. Es wiegt zudem schwer, dass Architekten keine Kostengarantien abgeben wollen. Bauherren möchten keine Baukunst. Kunst kann man sich ansehen, bevor man sie kauft.

Künstler wollen keine Verkäufer sein – daher gibt es Galeristen

Bei der Kommunikation wird es noch problematischer. Normalerweise können Künstler weder sich, noch ihre Werke gut verkaufen. Nicht ohne Grund gibt es Agenten und Galerien. Das gilt auch für Baukünstler! Baukünstler kommunizieren nicht auf Augenhöhe mit Bauherren. Ihnen geht es um das Werk und nicht um den Käufer. Müssen sich Architekten wirklich wundern, dass Kunden nicht bei ihnen “kaufen”?

Nichts von dem, was Bauherren suchen, können Künstler bieten. Deshalb ist die Krone der Baukunst für Architekten in Wahrheit eine Dornenkrone. Dass Architektenkammern immer noch falsche Schwerpunkte setzen ist ein Indiz für die Kapitulation vor diesen Tatsachen. Man überlässt das private Bauen den Bauträgern und GU und konzentriert sich stattdessen auf den baukünstlich-emotionalisierten Rest der privaten Bautätigkeiten – immerhin 20 %.

Architekten begründen den Aderlass mit fehlender Wirtschaftlichkeit im privaten Sektor: Privater Bauherr = viel Arbeit und wenig Honorar. Anstatt sich mit innovative Konzepten für die Rückeroberung der Privaten Kunden einzusetzen, propagiert man die Wichtigkeit der Baukultur und klammert sich an die Reste der HOAI. Es ist höchste Zeit für Veränderungen – im Sinne der Architekten und Innenarchitekten. Wie das gehen kann, erfährst du hier. Die DAB Online hat sich vor einiger Zeit den Architekten-Klischees gewidmet. Es werden viele positive Eigenschaften genannt, die der Berufsgruppe zugeschrieben werden. Was nicht dort steht ist: Keiner kann alle Talente zugleich haben, jeder Architekt ist unperfekt. Würde man das anerkennen und logisch Schlüsse ziehen, gäbe es eine glänzende Zukunft – besonders für kleine Architekturbüros. In diesem Artikel haben wir beschrieben, wie das gehen kann: Remote Work für Architekten

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